Wissenschaftliche Studien über Hatha Yoga in der Tradition des Kundalini Yoga
Grundsätzlich lässt sich die Wirkung von Yoga wie folgt erklären: Yoga im allgemeinen führt zu einer psycho-physiologischen Reaktion im Körper, die gegenteilig zur Reaktion des Körpers auf Stress ausfällt (Khalsa 2004a): Diese sogenannte "Entspannungsantwort" des Körpers besteht aus einer allgemeinen Verringerung sowohl der kognitiven als auch der körperlichen Erregung, was man an der veränderten Aktivität der Hypophyse und des damit in Zusammenhang stehenden autonomen Nervensystems erkennen kann (Benson 1975).
Physiologisch betrachtet repräsentiert beispielsweise yogische Meditation die tiefe Entspannung des autonomen Nervensystems – ohne dabei schläfrig zu werden oder zu schlafen – und eine Gehirnaktivität, die darauf hinweist, dass das Gehirn unempfindlicher gegenüber äußerer Stimuli wird (siehe z.B. Bagchi/Wenger 1957).
Sowohl die kurzzeitige als auch die längerfristige Praxis von yogischen Techniken führen laut Khalsa (2004a) zu:
- Verringerung der Sekretion von grundlegendem Cortisol und Katecholamin
- Verringerung der Aktivität des sympathischen Nervensystems
- Erhöhung der Aktivität des parasympathischen Nervensystems
- Aufnahme von Sauerstoff
- gesunden Effekten auf die kognitiven, neurophysiologischen Aktivitäten des Gehirns
Stress und Burnout sind universelle Schlagworte unserer heutigen Gesellschaft und stehen in einem engen Zusammenhang mit zahlreichen Krankheiten (European Commission 2000) – sowohl psychischer und physischer Art. Stress kann dazu führen, dass das Immunsystem nicht mehr richtig funktioniert, dass unter anderem Herz-Kreislauf-Krankheiten oder auch Krebs entsteht (z.B. Roth/Robbins 2004). Wie sich aus der obigen Zusammenfassung von Khalsa (2004a) ergibt, ist Yoga eine Technik, um aktiv Stress vorzubeugen, aber auch bereits bestehendem Stress entgegenzuwirken. So ist zum Beispiel yogisches Atmen (genannt Pranayama) eine einzigartige Methode, um das vegetative Nervensystem zu balancieren und psychische, mit Stress verbundene Störungen positiv zu beeinflussen (siehe Brown/Gerbarg 2005).
Weiterhin führt das Ausüben von Yoga dazu, dass toxischer Stress bekämpft werden und dadurch Zellschädigungen entgegengewirkt werden kann. Neben den Atemübungen wirken sich Mantra-Meditationen und Entspannungsübungen laut aktueller Forschung positiv auf den Umgang mit und die Folgen von Stress aus (siehe Dusek et al. 2008). In einer in Schweden durchgeführten Studie wurde speziell Kundalini Yoga als maßgebliche Anti-Stress-Strategie mit positivem Ergebnis eingesetzt: Sowohl psychologische Faktoren (wie Verhalten unter Stress, Wut, Erschöpfung, Lebensqualität) als auch physische Faktoren (wie Blutdruck, Herzfrequenz, Katelochamine, Cortisol) zeigten signifikante Verbesserungen nach Übungen aus dem Hatha Yoga in der Tradition des Kundalini Yoga (siehe Granath et al. 2006).
Neben diesen stressbezogenen Wirkungen gibt es im rein physiologischen Bereich verschiedene Bereiche auf die das Ausüben von Yoga laut aktuellen Studien positiv wirkt. Der folgende Überblick zeigt die einzelnen Bereiche und die Wirkungsweise von Yoga in diesen Bereichen auf.
- Schmerzen
Yoga hilft bei Rückenschmerzen, besonders bei Schmerzen im unteren Teil der Wirbelsäule, und ist somit ein wirkungsvolles Mittel gegen eine der am weitesten verbreiteten Volkskrankheiten in der heutigen Zeit (siehe z.B. Saper et al. 2009, Posadziki/Ernst 2011). Auch Kopfschmerzen können, wie wissenschaftliche Studien belegen, erfolgreich mit Yoga behandelt werden (siehe z.B. John et al. 2007). Besonders bei chronischen Schmerzen scheint Yoga weiterhin mehr Abhilfe schaffen zu können als andere alternative Methoden (siehe z.B. Wren et al. 2011). - Herz-Kreislauf-Erkrankungen
Wissenschaftliche Studien zeigen, dass eine regelmäßige Yogapraxis sowohl die Risikofaktoren für kardiovaskuläre Erkrankungen verringert, als auch den Krankheitsverlauf verbessert (siehe z.B. Innes et al. 2005). Besonders auf Bluthochdruck hat Yoga einen positiven, also Blutdrucksenkenden Effekt (siehe z.B. Cohen 2007; Murugesan 2000). - Autoimmun-Erkrankungen
Die Betroffenenzahlen an Autoimmun-Erkrankungen wie beispielsweise Diabetes nehmen immer mehr zu. Yoga führt dazu, dass sowohl die Blutzuckergrenze als auch das Glykohämoglobin sinkt. Yoga hat weiterhin das Potential, das Risiko für Typ 2 Diabetes im Erwachsenenalter zu verringern (siehe z.B. Innes/Vincent 2006). - Krebs
Studien haben gezeigt, dass Yoga bei Krebspatienten dazu führt, dass die Schlafqualität verbessert werden konnte, Stress gemindert wurde und sich die Symptome von Krebs allgemein verringert haben (siehe Bower et al. 2005).
Vor allem in Studien, die mit von Brustkrebs betroffenen Frauen durchgeführt wurden, zeigte sich, dass Yoga besonders im psychischen Bereich unterstützend wirkt und beispielsweise die Stimmungslage positiv beeinflusst und die Angst reduziert (z.B. Smith/Pukall 2009; Rao et al. 2008). - Organerkrankungen
Besonders im Hinblick auf Hatha Yoga in der Tradition des Kundalini Yoga gibt es noch weitere nennenswerte Studien, die sich mit Organerkrankungen auseinandersetzen und die positiven physiologischen Auswirkungen von Yoga aufzeigen:
So zeigen Katiyar und Bihari (2006), dass yogisches Atmen (Pranayama) die Genesung von Patienten mit mittlerer bis schwerer chronisch obstruktiver Lungenerkrankung fördert. Auch die Leber profitiert von Yoga. So hat Breathwalk – eine bestimmte Art des Walking in Verbindung mit Atem- und Koordinationsübungen aus dem Kundalini Yoga – einen positiven Einfluss auf Patienten mit Hepatitis: Es beeinflusst unter anderem die Fettwerte und Enzyme in der Leber positiv (Vázquez-Vandyck et al. 2007). - Gehirn
Das Gehirn wird durch Meditationen positiv beeinflusst. So verändern sich durch die „Kirtan Kriya“ (eine Meditation aus dem Hatha Yoga in der Tradition des Kundalini Yoga, die mit dem Drücken von bestimmten Meridianpunkten an den Fingerspitzen verbunden ist) die Gehirnströme und die Synapsen werden zu einer Neuvernetzung angeregt. Meditationen haben eine positive Auswirkung auf zwei Bereiche im Gehirn, die maßgeblich im Zusammenhang mit Alzheimer, Erinnerungsvermögen und Sprachsteuerung stehen (Khalsa et al. 2009).
Spezielle Übungen aus dem Yoga haben laut einer weiteren Studie dazu geführt, dass bei Schlaganfallpatienten die Aphasie (Sprachstörungen) und die feinmotorische Koordination verbessert werden konnte (siehe Lynton/Kligler/ Shiflett 2007).
Darüber hinaus zeigen Desbordes et al. (2012), dass Meditation auch außerhalb des meditativen Zustands – also im Alltag des Meditierenden – eine Auswirkung auf die Amygdala hat: Die Aktivität der rechten Amygdala war im Vergleich zur Kontrollgruppe verringert. Das heißt, dass Meditation die grundsätzliche emotionale Stabilität und die Reaktion des Körpers auf Stress verbessern kann.
Im Folgenden sollen nun noch die Auswirkungen von Yoga auf psychische Erkrankungen an Hand von aktuellen Studien aufgezeigt werden:
- Schlafstörungen
Sat Bir S. Khalsa betreibt als Neurowissenschaftler und Mediziner Forschung an der Abteilung für Schlafmedizin der Harvard University. Er untersucht die Wirkung von Kundalini Yoga auf chronische Schlafstörungen und kommt zu dem Ergebnis, dass sich durch Hatha Yoga in der Tradition des Kundalini Yoga die meisten der wichtigen Schlafmaßzahlen signifikant verbessern lassen. Gemessen wurden: Die Verringerung der Wachzeit, die Erhöhung der Schlafzeit, die Vergrößerung der Schlafeffizienz und -qualität (Khalsa 2004b). - Angststörungen und Depressionen
Angstkrankheiten können mit Yoga wirkungsvoll und positiv beeinflusst werden. So zeigen Kirkwood et al. (2005), dass Angststörungen, Phobien, Prüfungsangst und Zwangsneurosen erfolgreich mit Yoga behandelt werden können.
Auch Depressionen können mit Yoga gemildert werden. Vor allem Atemübungen aus dem Yoga führen zu einer Verbesserung der Stimmungslage bei depressiven Menschen (siehe z.B. Pilkington et al. 2005). Besonders durch Meditationen können leichte bis schwere Depressionen gemildert werden (siehe z.B. Uebelacker et al. 2010). Spezielle Übungen aus dem Kundalini Yoga können helfen, Angststörungen und Depressionen zu lindern (siehe Shannahoff-Khalsa 2006: 47ff.). - Zwangsneurosen
Shannahoff-Khalsa (et al. 1999, 2003, 2004, 2010) untersucht schon seit vielen Jahren spezifische psychiatrische Störungen an der University of California, San Diego und beschäftigt sich mit der Frage, wie Kundalini Yoga Neurosen beeinflussen kann. Im Vordergrund stehen nicht Körperübungen (Asanas), sondern Meditationstechniken (mit Mantra, Mudra, Atmung) zur Behandlung von Zwangsstörungen, aber auch bei Phobien, Suchtstörungen, Schlafstörungen oder Legasthenie.
Im Zusammenhang mit Zwangsneurosen zeigte sich in einer Kontrollstudie, dass Meditationen zu statistisch signifikanten Verbesserungen im Hinblick auf die Ausprägung der Zwänge, die Gefühlslage, den wahrgenommenen Stress und den wahrgenommenen Sinn des Lebens führen (Shanahoff-Khalsa 2003). - Sucht
Wie Khalsa et al. (2008) in ihrer Pilotstudie mit einer Gruppe von süchtigen / abhängigen Personen in Indien im Rahmen eines Anti-Sucht-Programms herausfanden, haben verschiedene Techniken aus dem Hatha Yoga in der Tradition des Kundalini Yoga einen positiven Einfluss auf verschiedene psychologische Faktoren im Zusammenhang mit Sucht. Dieses Thema beleuchtet auch Shanahoff-Khalsa (2006: 143ff.), der wiederum bestimmte Techniken aus dem Kundalini Yoga beschreibt und testet, die bei Sucht und Abhängigkeitsproblemen wirken.
Insgesamt zeigt sich, dass Yoga umfassende Techniken bereitstellt, die sich positiv sowohl auf die physische als auch die psychische Gesundheit auswirken.
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Desbordes, Gaëlle et al. 2012: Effects of Mindful-attention and Compassion Meditation Training on Amygdala Response to Emotional Stimuli in an Ordinary, Non-meditative State. Frontiers in Human Neuroscience (doi: 10.3389/fnhum.2012.00292).
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